Jenny Schaner
Jenny Schaner (geb. Ertel), 1907 in Baligród (heute Polen) geboren und in Berlin aufgewachsen, ging zusammen mit ihrem Ehemann (Moritz Spritzer) aus beruflichen Gründen im Jahr 1931 in die Niederlande. Wegen der „Machtergreifung“ der Nazis (Januar 1933) entschlossen sich beide, in den Niederlanden zu bleiben. Nach dem Beginn des Überfalls auf Frankreich und der Besetzung der Niederlande durch deutsche Truppen im Mai 1940 floh Jenny Schaner mit ihrem Mann und kleinen Sohn nach Frankreich. Beim Versuch, in den unbesetzten Teil Frankreichs zu gelangen, wurden die Flüchtlinge im Oktober 1941 verhaftet. Im Sommer 1942 wurde Schaner vom Durchgangslager Angers (bei Nantes) nach Auschwitz deportiert und als Nummer 10.291 registriert. Schaner kam ins FrauenkonzentrationslagerFrauenkonzentrationslager
Von März bis August 1942 gab es in den Blöcken 1 bis 10 des → Stammlagers ein Frauenkonzentrationslager, das bis Sommer 1942 dem Konzentrationslager Ravensbrück (nördlich von Berlin) unterstellt war. Im August 1942 wurden die weiblichen Häftlinge in den Lagerabschnitt BIa in Birkenau verlegt. BIa und ab Juli 1943 auch BIb bildeten das Frauenkonzentrationslager in Birkenau. Weibliche Häftlinge gab es auch in den Lagerabschnitten BIIb (→ Theresienstädter Familienlager) und BIIe (→ Zigeunerlager) sowie seit Sommer 1944 auch in BIIc (Durchgangslager für Jüdinnen aus Ungarn) und in BIII (→ „Mexiko“). Im Herbst 1944 wurden in Blöcken, die in der Nähe des Stammlagers (die sogenannte Lagererweiterung) erbaut worden waren, Häftlingsfrauen untergebracht.
, das im StammlagerStammlager
→ Auschwitz I
(Auschwitz IAuschwitz I
Im November 1943 wurde der Lagerkomplex Auschwitz administrativ dreigeteilt: Das → Stammlager, das seit Mai 1940 existierende, erhielt die Bezeichnung Auschwitz I.
) in den Blöcken 1 bis 10 seit Ende März 1942 eingerichtet worden war. Sie wurde Häftlingsschreiberin im sogenannten Standesamt der Politischen Abteilung. In dem Standesamt II von Auschwitz (Standesamt I befand sich in der Stadt Auschwitz) wurden nahezu ausschließlich die Todesfälle im Lager registriert. Schaner hatte auf der Grundlage der Todesmeldungen aus den Häftlingskrankenbauten die Sterbeeinträge zu schreiben, die sodann in sogenannten Sterbebüchern gesammelt wurden. Während des Todesmarsches im Januar 1945 konnte Schaner fliehen. Es gelang ihr, sich als Deutsche auszugeben und bis zu ihrer Befreiung durch die Rote Armee in Oberschlesien zu überleben.
Zur Zeit ihrer Vernehmung im Februar 1965 war Jenny Schaner 58 Jahre alt und lebte in Zürich/Schweiz.
Buchpublikation:
Jenny Spritzer: Ich war Nr. 10291. Als Sekretärin in Auschwitz. Stäfa (Schweiz): Rothenhäusler Verlag, 1994, 157 S. [erstmals 1946 erschienen]
Hörbeispiel:
Die Leute, die gekommen sind, sie wussten, was ihnen bevorstand. Ich glaube, es waren die letzten Leute, es war das die Kultusgemeinde, und es waren Zahnärzte und Ärzte, die bevorzugt waren noch bis dahin. Und die haben wohl gewusst, was ihnen bevorstand, und sie haben scheinbar Waffen mitgebracht. Und sie haben das Feuer eröffnet, aber dann wurden sie sofort mit Mitrailleurs [Maschinengewehren] niedergemäht.
(134. Verhandlungstag, 5.2.1965)
Erläuterung:
In ihrer Vernehmung machte die Zeugin Jenny Schaner Angaben über ihren Chef im Standesamt, SS-Oberscharführer Walter Quakernack (1907–1945). Nach der Erinnerung der Zeugin soll Quakernack bei der SelektionSelektion
Die Auswahl oder Aussonderung von Häftlingen und von nach Auschwitz verschleppten Juden auf der → Rampe wurde „Selektion“ genannt. Selektion innerhalb des Lagers konnte für die Häftlinge zweierlei bedeuten: Verbleib im Lager bzw. Überstellung in ein anderes Lager oder Ermordung: Tod in der Gaskammer, Tötung mit Injektionen, Erschießung. Für nach Auschwitz verschleppte Juden hieß Selektion auf der Ankunftsrampe: Verbringung ins Lager zur Sklavenarbeit oder sofortige Ermordung in den Gaskammern.
eines Transports aus der oberschlesischen Stadt Bedzin/Bendsburg von Deportierten, die Widerstand leisteten, verletzt worden sein. Anfang August 1943 wurden die Ghettos der beiden Städte Bedzin und Sosnowice/Sosnowitz geräumt. Nach Angaben des Polizeipräsidenten von Sosnowitz wurden über 30.000 Juden nach Auschwitz deportiert. Die Menschen in den beiden Ghettos, 40 Kilometer von Auschwitz entfernt gelegen, hatten zum Teil Kenntnis von den Verbrechen in Auschwitz, wussten also um ihr Schicksal. Einige entschlossen sich, nicht widerstandslos in den Tod zu gehen. Sie kämpften gegen ihre Mörder.