Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965)

Im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz (1940–1945) ermordete das SS-Personal mehr als eine Million Menschen. Die meisten der Opfer waren Juden, die aus ganz Europa an die Mordstätte verschleppt worden waren.

Circa 8.000 Angehörige der Waffen-SS und 200 SS-Aufseherinnen leisteten in dem Lager ihren Dienst. Allesamt waren sie an den Massenverbrechen beteiligt, die in dem Todeslager begangen worden sind.

In den ersten Jahren nach 1945 wurden wichtige Funktionsträger von Auschwitz vor Gerichten der Alliierten zur Verantwortung gezogen. Der erste Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, wurde vom Obersten Gerichtshof der Volksrepublik Polen zum Tode verurteilt und auf dem Gelände von Auschwitz gehängt. Auch die Kommandanten Arthur Liebehenschel, Josef Kramer, Heinrich Schwarz und Friedrich Hartjenstein büßten für ihre Verbrechen mit dem Tod.

Die Justizbehörden der beiden deutschen Staaten, der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, haben die Täter von Auschwitz nicht systematisch verfolgt.

Erst Ende der 1950er Jahre setzten umfassende Ermittlungen ein, die 1963 zum 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess führten. Angeklagt waren ehemalige SS-Angehörige und ein einstiger Häftling. In dem Strafprozess, der 20 Monate dauerte, wurden 360 Zeugen vernommen. 211 Überlebende von Auschwitz kamen an den Gerichtsort Frankfurt am Main und sagten aus.

Einigen Angeklagten wurden Einzeltötungen zur Last gelegt, die sie eigenmächtig begangen hatten. Wer in Auschwitz ohne Befehl, also aus eigener Initiative, aus niedrigen Beweggründen und auf grausame und heimtückische Weise Menschen getötet hatte, war Mörder. Den meisten Angeklagten wurde aber zum Schuldvorwurf gemacht, dass sie verbrecherische Befehle der deutschen Staatsführung befolgt, sich an Massenverbrechen gemeinschaftlich mit anderen beteiligt hatten. Verantwortlich und somit schuldig waren diese willigen Befehlsvollstrecker, weil sie im Wissen um die Rechtswidrigkeit der Befehle gehandelt hatten und ihre Mitwirkung an den befohlenen Taten nicht aus einer Notstandslage heraus geschehen war. Ein fehlendes Unrechtsbewusstsein und ein unverschuldeter Notstand hätten die Angeklagten entschuldigt. Strafrechtlich hätten sie nicht zur Verantwortung gezogen werden können.

Für die schwierige Frage, ob ein Angeklagter wegen der Mitwirkung an befohlenen Verbrechen als Mittäter oder als Gehilfe zu beurteilen war, mussten die Frankfurter Richter die „innere Einstellung“ der Angeklagten zu den Taten und ihre „Willensrichtung“ bewerten.

Gelangten die Richter zu der Erkenntnis, dass ein Angeklagter sich die befohlenen Taten des NS-Regimes zu eigen gemacht hatte, dass er also mit den Zielen der Machthaber übereinstimmte, verurteilten sie ihn als Mittäter. War das Gericht hingegen der Auffassung, ein Angeklagter habe nur die Befehle anderer fördern und unterstützen wollen, die fremden Befehle sich nicht zur eigenen Sache gemacht, wurde er als Gehilfe qualifiziert und kam mit einer meist geringen Zuchthausstrafe davon.

Sechs Angeklagte wurden als Mörder zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, ein Angeklagter (zur Tatzeit unter 21 Jahren) als Mörder zu zehn Jahren Jugendstrafe. Zehn Angeklagte wurden nicht als Täter bzw. Mittäter, sondern als Gehilfen qualifiziert und erhielten Zuchthausstrafen zwischen dreieinviertel und vierzehn Jahren. Drei Angeklagte wurden mangels Beweisen freigesprochen.