Emil de Martini

Emil de Martini, 1902 in Johanngeorgenstadt/Sachsen geboren, wurde im Mai 1940 in Königshütte/Oberschlesien wegen seiner politischen Tätigkeit gegen das Nazi-Regime verhaftet. Nach kurzer Gefängnishaft wurde er Mitte Juli 1940 nach Auschwitz verbracht und als politischer Häftling Nummer 1.402 registriert. Nach schwerster Arbeit in verschiedenen Kommandos kam de Martini im Sommer 1942 als Häftlingsschreiber in den KrankenbauKrankenbau
→ <Häftlingskrankenbau>
(Block 21 von Auschwitz IAuschwitz I
Im November 1943 wurde der Lagerkomplex Auschwitz administrativ dreigeteilt: Das → Stammlager, das seit Mai 1940 existierende, erhielt die Bezeichnung Auschwitz I.
/StammlagerStammlager
→ Auschwitz I
) und wurde dort wenig später Blockältester. Der Reichsdeutsche de Martini wurde im Februar 1943 aus dem Lager entlassen und zur Wehrmacht eingezogen.
Zur Zeit seiner Vernehmung im Juni 1964 war der Zeuge Emil de Martini 62 Jahre alt und lebte als freiberuflicher Journalist in Nürnberg.

Buchpublikation:
Emil de Martini: Vier Millionen Tote klagen an ...! Erlebnisse im Todeslager Auschwitz. München-Obermenzing: Hans von Weber Verlag, 1948, 78 S.

You do not have the Flash plugin installed, or your browser does not support Javascript. Both are required to view this Flash movie.

Hörbeispiel:
Die Regel war, wenn ein Kranker innerhalb 14 Tagen nicht wieder arbeitsfähig ist und ins Lager entlassen werden kann, war er sowieso ein Todeskandidat. Er galt als unnötiger Esser. Und es kam sehr selten vor, dass ein Kranker, vor allen Dingen schwer Fußkranker mit Phlegmonen und dergleichen Dingen behaftet, dass er in 14 Tagen gesund werden konnte. Im normalen Zivilleben hätte man all die Kranken wieder heilen können. Dort war es unmöglich, weil es waren auch keine Medikamente da. Es wurde alles nur in Papier hineingeschrieben, was der Häftling bekommen hat, wie sorgfältig er gepflegt wurde im KrankenbauKrankenbau
→ <Häftlingskrankenbau>
und so weiter. Aber die Hauptapotheke, die SS-Hauptapotheke, gab ja nichts heraus. Wir bekamen nur Papierbinden und gegen Ruhr zum Beispiel Bolus alba, also weiße Tonerde beziehungsweise Kohle. Und dann noch für Wunden Lebertransalbe. Das war alles. Sonst gab es ja nichts.
(51. Verhandlungstag, 4.6.1964)

Erläuterung:
Kranke Häftlinge hatten in Auschwitz zwei Möglichkeiten: AufnahmeAufnahme
Die gesamte Prozedur der Einweisung und Registrierung eines Häftlings in das Lager wurde „Aufnahme“ genannt. In der → Politischen Abteilung gab es ein Referat Aufnahme, in dem die Häftlingsakten geführt wurden.
in den sogenannten HäftlingskrankenbauHäftlingskrankenbau
In den Konzentrationslagern wurden Blöcke bzw. Baracken eingerichtet, in denen kranke Häftlinge medizinisch versorgt werden sollten. → SS-Lagerärzte und → SS-Sanitätsdienstgrade waren die Vorgesetzten von → Häftlingsärzten und -pflegern, die sich mit den wenigen zur Verfügung stehenden medizinischen Mitteln um die erkrankten Häftlinge kümmerten. Der Aufenthalt im → Krankenbau war für die Lagerinsassen mit einem hohen Risiko verbunden. Wurden die Kranken innerhalb kurzer Zeit nicht wieder „arbeitsfähig“ und konnten ins Lager entlassen werden, fielen sie Selektionen zum Opfer. Die → SS-Ärzte, assistiert von den Sanitätsdienstgraden, wählten die Kranken aus und schickten sie in den Tod: Sie wurden vergast oder mit → Phenolinjektionen getötet.
oder Verbleib im Lager. Blieb ein Häftling krank und geschwächt im Lager und auf seinem ArbeitskommandoArbeitskommando
Eine Häftlingsgruppe, die von der → SS zu einer bestimmten Tätigkeit eingesetzt wurde, nannte man „Arbeitskommando“. Seitens der SS war ein „Kommandoführer“ für den Arbeitseinsatz der Häftlinge verantwortlich. Von der SS eingesetzte → Kapos, bei großen Arbeitskommandos Oberkapos, hatten Aufsichtsfunktionen auszuüben. Nicht wenige Kapos erwiesen sich als willige Handlanger der SS und drangsalierten die Häftlinge.
, lief er Gefahr, einer Block- oder Torselektion zum Opfer zu fallen. Ließ er sich in das KrankenbauKrankenbau
→ <Häftlingskrankenbau>
aufnehmen, bestand das Risiko, nach einem Aufenthalt von zwei Wochen als „arbeitsunfähig“ selektiertselektiert
Die Auswahl oder Aussonderung von Häftlingen und von nach Auschwitz verschleppten Juden auf der → Rampe wurde „Selektion“ genannt. Selektion innerhalb des Lagers konnte für die Häftlinge zweierlei bedeuten: Verbleib im Lager bzw. Überstellung in ein anderes Lager oder Ermordung: Tod in der Gaskammer, Tötung mit Injektionen, Erschießung. Für nach Auschwitz verschleppte Juden hieß Selektion auf der Ankunftsrampe: Verbringung ins Lager zur Sklavenarbeit oder sofortige Ermordung in den Gaskammern.
zu werden. Obgleich viele Häftlingsärzte und -pfleger sich mit den wenigen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, um die Kranken bemühten, war eine Genesung meist nicht erreichbar. Wieder stand der kranke Häftling vor einer schweren Entscheidung: Entlassung aus dem KrankenbauKrankenbau
→ <Häftlingskrankenbau>
ins Lager, obschon er nicht geheilt und somit noch nicht arbeitsfähig war. Oder: SelektionSelektion
Die Auswahl oder Aussonderung von Häftlingen und von nach Auschwitz verschleppten Juden auf der → Rampe wurde „Selektion“ genannt. Selektion innerhalb des Lagers konnte für die Häftlinge zweierlei bedeuten: Verbleib im Lager bzw. Überstellung in ein anderes Lager oder Ermordung: Tod in der Gaskammer, Tötung mit Injektionen, Erschießung. Für nach Auschwitz verschleppte Juden hieß Selektion auf der Ankunftsrampe: Verbringung ins Lager zur Sklavenarbeit oder sofortige Ermordung in den Gaskammern.
durch den SS-ArztSS-Arzt
Im → SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) in Oranienburg (nahe Berlin), das nach fünf Amtsgruppen gegliedert war, gab es in der Amtsgruppe D: Konzentrationslager das Amt D III: Sanitätswesen und Lagerhygiene. Dem von SS-Standartenführer Dr. Enno Lolling geleiteten Amt unterstanden die „medizinischen Abteilungen“ der Konzentrationslager. Die in den KZs tätigen → SS-Ärzte wurden zur Betreuung des SS-Personals (SS-Truppenärzte) und zur (vorgeblichen) Betreuung der Konzentrationslagerhäftlinge (SS-Lagerärzte) eingesetzt. Um die Gesundheitsversorgung der Häftlinge und die Hygiene in den Konzentrationslagern kümmerten sich die SS-Ärzte meist nicht. Beteiligt waren sie an der Vernichtung der Häftlinge (Selektionen) und an Menschenversuchen (Experimenten).
, die in den meisten Fällen dazu führte, dass der kranke Häftling zur Vergasung nach BirkenauBirkenau
Seit Oktober 1941 wurde das von der SS als „Kriegsgefangenenlager“ bezeichnete Lager Birkenau erbaut, das bis in das Jahr 1944 kontinuierlich erweitert wurde. Im Lager Birkenau wurden auch seit Mitte 1942 vier Krematorien mit Gaskammern errichtet, die die Orte der Menschenvernichtung waren.
überstellt wurde. Die SS-ApothekeSS-Apotheke
In der Abteilung, die für die medizinische Versorgung des SS-Personals und der Lagerhäftlinge zuständig war, in der Abteilung V: SS-Standortarzt, gab es eine Apotheke, in der Medikamente und medizinisches Gerät verwaltet wurden. Die SS-Apotheke in Auschwitz hatte die Besonderheit, dass dort auch die Mittel lagerten, mit denen Menschen ermordet wurden. Es handelte sich um → Phenol und um → Zyklon B. Der Leiter der SS-Apotheke im Sommer 1944, der Angeklagte Dr. Victor Capesius, hat nach einer Dienstbesprechung, die der Vorgesetzte des medizinischen SS-Personals, SS-Standortarzt Dr. Eduard Wirths im Mai 1944 durchgeführt hat, auch „Dienst“ auf der Rampe verrichtet. „Rampendienst“ hieß: Durchführung der → Selektionen.
und die verschiedenen Häftlingsapotheken in den Lagerabschnitten waren vollkommen unzureichend mit Medikamenten ausgestattet. Häufig kam es auch vor, dass vorrätige Medikamente nicht für die Behandlung der Häftlinge zur Verfügung gestellt wurden, obwohl die Krankenbauten entsprechende „Medikamentenanforderungen“ an die SS-ApothekeSS-Apotheke
In der Abteilung, die für die medizinische Versorgung des SS-Personals und der Lagerhäftlinge zuständig war, in der Abteilung V: SS-Standortarzt, gab es eine Apotheke, in der Medikamente und medizinisches Gerät verwaltet wurden. Die SS-Apotheke in Auschwitz hatte die Besonderheit, dass dort auch die Mittel lagerten, mit denen Menschen ermordet wurden. Es handelte sich um → Phenol und um → Zyklon B. Der Leiter der SS-Apotheke im Sommer 1944, der Angeklagte Dr. Victor Capesius, hat nach einer Dienstbesprechung, die der Vorgesetzte des medizinischen SS-Personals, SS-Standortarzt Dr. Eduard Wirths im Mai 1944 durchgeführt hat, auch „Dienst“ auf der Rampe verrichtet. „Rampendienst“ hieß: Durchführung der → Selektionen.
gestellt hatten. Manchmal gelang es Häftlingsärzten und Mitgliedern des Lagerwiderstands, Medikamente zu „organisieren“, das heißt illegal zu beschaffen.