Mauritius Berner
Mauritius Berner, geboren 1902 in Micãlaca/Rumänien, lebte bis Ende Mai 1944 mit Frau und drei Töchtern in Tîrgu Mures/Marosvásárhely, das damals zu Ungarn gehörte. Der Arzt Berner und seine Familie wurden im Rahmen der vom Sondereinsatzkommando EichmannEichmann
Adolf Eichmann (1906–1962) war im → Reichssicherheitshauptamt (RSHA) Leiter des sogenannten Judenreferats und organisierte zusammen mit den lokalen Gestapostellen die Transporte mit Juden aus ganz Europa in die → Vernichtungslager.
durchgeführten „Ungarn-Aktion“ (von Mitte Mai bis Anfang Juli 1944) nach Auschwitz deportiert und auf der „Neuen RampeRampe
Der Ort entlang von Bahngleisen, an dem die nach Auschwitz verschleppten Juden selektiert wurden, wird „Rampe“ genannt. In Auschwitz gab es für die Transporte des → Reichssicherheitshauptamts (RSHA) mit Juden aus ganz Europa zwei Selektionsrampen: die → „Alte Rampe“ und die → „Neue Rampe“.
“ von BirkenauBirkenau
Seit Oktober 1941 wurde das von der SS als „Kriegsgefangenenlager“ bezeichnete Lager Birkenau erbaut, das bis in das Jahr 1944 kontinuierlich erweitert wurde. Im Lager Birkenau wurden auch seit Mitte 1942 vier Krematorien mit Gaskammern errichtet, die die Orte der Menschenvernichtung waren.
von dem SS-ArztSS-Arzt
Im → SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) in Oranienburg (nahe Berlin), das nach fünf Amtsgruppen gegliedert war, gab es in der Amtsgruppe D: Konzentrationslager das Amt D III: Sanitätswesen und Lagerhygiene. Dem von SS-Standartenführer Dr. Enno Lolling geleiteten Amt unterstanden die „medizinischen Abteilungen“ der Konzentrationslager. Die in den KZs tätigen → SS-Ärzte wurden zur Betreuung des SS-Personals (SS-Truppenärzte) und zur (vorgeblichen) Betreuung der Konzentrationslagerhäftlinge (SS-Lagerärzte) eingesetzt. Um die Gesundheitsversorgung der Häftlinge und die Hygiene in den Konzentrationslagern kümmerten sich die SS-Ärzte meist nicht. Beteiligt waren sie an der Vernichtung der Häftlinge (Selektionen) und an Menschenversuchen (Experimenten).
Josef Mengele und dem SS-Apotheker Victor Capesius selektiertselektiert
Die Auswahl oder Aussonderung von Häftlingen und von nach Auschwitz verschleppten Juden auf der → Rampe wurde „Selektion“ genannt. Selektion innerhalb des Lagers konnte für die Häftlinge zweierlei bedeuten: Verbleib im Lager bzw. Überstellung in ein anderes Lager oder Ermordung: Tod in der Gaskammer, Tötung mit Injektionen, Erschießung. Für nach Auschwitz verschleppte Juden hieß Selektion auf der Ankunftsrampe: Verbringung ins Lager zur Sklavenarbeit oder sofortige Ermordung in den Gaskammern.
. Berner kannte Capesius, der in den 1930er-Jahren Vertreter der zum I.G. Farben-Konzern gehörenden Farbenfabriken Bayer AG/Leverkusen gewesen war und die Medikamente seiner Firma bei den Ärzten und Apothekern angeboten hatte. Berner war bis Ende Oktober 1944 in Auschwitz, wurde in die KZs Sachsenhausen (bei Berlin) und Dachau (bei München) und das Außenlager Kaufering (bei Landsberg) überstellt und Ende April 1945 von der amerikanischen Armee in Dachau befreit.
Zur Zeit der Verhandlung im August 1964 war der Zeuge Mauritius Berner 62 Jahre alt und lebte als Arzt in Jerusalem/Israel.
Hörbeispiel:
Und der Strom der Menschen ging vorwärts. Und ich sagte meiner Frau – ich war mit Frau und drei Kindern, drei Töchterchen: „Tut nichts. Hauptsache, dass wir fünf zusammen sind.“ Und: „Wir werden schon sehen, wie wir weiterkommen.“ Kaum sagte ich das, tritt schon ein anderer Soldat zwischen uns und sagt: „Männer nach rechts, Frauen nach links!“ und hat uns geteilt voneinander. Ich habe nicht einmal so viel Zeit gehabt, meine Frau umzuarmen. Sie hat mir nachgeschrien: „Komm, küsse uns!“ Vielleicht aus irgendeinem Fraueninstinkt hat sie eher gefühlt, was für eine Gefahr auf uns droht. Ich bin durch den Kordon wieder zu ihnen gelaufen und habe meine Frau geküsst und meine drei Kinder, und schon wieder hat man mich auf die andere Seite geschoben, und wir sind weiter vorangegangen, parallel zwar, aber getrennt, zwischen den zwei Geleisen, zwischen den zwei Zügen, parallel, aber getrennt. Dann, nicht wahr, die Menge hat mich auch weitergestoßen, habe ich sie vor Augen verloren, meine Familie.
(78. Verhandlungstag, 17.8.1964)
Erläuterung:
Auf der RampeRampe
Der Ort entlang von Bahngleisen, an dem die nach Auschwitz verschleppten Juden selektiert wurden, wird „Rampe“ genannt. In Auschwitz gab es für die Transporte des → Reichssicherheitshauptamts (RSHA) mit Juden aus ganz Europa zwei Selektionsrampen: die → „Alte Rampe“ und die → „Neue Rampe“.
von BirkenauBirkenau
Seit Oktober 1941 wurde das von der SS als „Kriegsgefangenenlager“ bezeichnete Lager Birkenau erbaut, das bis in das Jahr 1944 kontinuierlich erweitert wurde. Im Lager Birkenau wurden auch seit Mitte 1942 vier Krematorien mit Gaskammern errichtet, die die Orte der Menschenvernichtung waren.
(„Neue RampeNeue Rampe
1944 baute die → SS mitten in das Vernichtungslager einen dreiteiligen Gleisanschluss. Zwischen zwei Gleisen befand sich ein Bahnsteig, eine Plattform, von rund 10 Meter Breite. Der Gleisanschluss zusammen mit der Plattform wurde „Neue Rampe“ genannt. Auf dem Bahnsteig wurden die mit Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn nach Auschwitz verschleppten Juden meist von →SS-Ärzten selektiert.
“) wurden die deportierten Juden von SS-Angehörigen oder von den Häftlingen des sogenannten Aufräumungskommandos zunächst nach Männern und Frauen (mit Kindern) getrennt. Die durch die Vorselektion entstandenen beiden Kolonnen wurden dann von SS-Ärzten nach „Arbeitsfähigen“ und „Nichtarbeitsfähigen“ getrennt. Frauen mit Kindern, Alte und Kranke wurden zur Ermordung in den GaskammernGaskammern
Die Räume, in denen in Auschwitz Menschen mit dem Giftgas → Zyklon B ermordet worden sind, die Gaskammern, wurden von der → SS in den Bauplänen meist „Leichenkeller“ genannt. Gaskammern gab es im Lagerkomplex Auschwitz an insgesamt sieben Stellen: Im → Krematorium I, in den umgebauten Bauernhäusern in Birkenau (→ Bunker Nr. 1 und → Bunker Nr. 2) und in den → Krematorien II bis V. Die Gaskammern hatten gasdichte Türen mit einem Guckloch, Vorrichtungen zum Einschütten von → Zyklon B (Einwurfluken) und teilweise auch Ventilationssysteme, um die Luft absaugen zu können.
ausgewählt, junge Männer und Frauen, in den Augen der SS-Mediziner zur Zwangsarbeit imstande, zur AufnahmeAufnahme
Die gesamte Prozedur der Einweisung und Registrierung eines Häftlings in das Lager wurde „Aufnahme“ genannt. In der → Politischen Abteilung gab es ein Referat Aufnahme, in dem die Häftlingsakten geführt wurden.
ins Lager. Die Ehefrau des Zeugen Mauritius Berner und seine drei kleinen Töchter, darunter die Zwillinge Helga und Nora, wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet.