Franz Lucas

(15. September 1911, Osnabrück – 7. Dezember 1994, Elmshorn)
Der Metzgersohn besuchte in Osnabrück die Volksschule sowie die Mittelschule bis zur mittleren Reife, machte eine Umschulung, wechselte auf verschiedene Gymnasien und machte erst 1933 das Abitur. An der Universität Münster studierte er vier Semester Philologie, sattelte um, begann ein Medizinstudium, das er an der Danziger Universität 1942 mit der Promotion abschloss. 1937 war Lucas der Allgemeinen SS und 1938 der NSDAP beigetreten, bereits 1933/34 hatte er kurze Zeit der SA angehört. Dr. med. Lucas wurde zur Waffen-SS eingezogen, militärisch ausgebildet und fand Verwendung in einem Lazarett und als Truppenarzt. Ende 1943 war er bereits SS-Obersturmführer. Seine weitere Karriere bei der SS ruinierte sich Lucas durch vorgebliche defätistische Äußerungen. Nach eigenen Angaben zu einer Bewährungseinheit nach Jugoslawien versetzt war er kurze Zeit bei Belgrad stationiert. Ende 1943 kam Lucas nach Oranienburg zum SS-Wirtschafts-VerwaltungshauptamtSS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt
Das 1942 aus mehreren Verwaltungseinrichtungen der SS gebildete Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (SS-WVHA) war unter anderem für die Konzentrationslager zuständig.
(WVHAWVHA
→ SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt
) und von dort als Lagerarzt nach Auschwitz. In BirkenauBirkenau
Seit Oktober 1941 wurde das von der SS als „Kriegsgefangenenlager“ bezeichnete Lager Birkenau erbaut, das bis in das Jahr 1944 kontinuierlich erweitert wurde. Im Lager Birkenau wurden auch seit Mitte 1942 vier Krematorien mit Gaskammern errichtet, die die Orte der Menschenvernichtung waren.
war er im sogenannten ZigeunerlagerZigeunerlager
Sinti und Roma wurden von den Nationalsozialisten als „Zigeuner“ verfolgt. Auf Befehl von Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, vom Dezember 1942 wurden ab März 1943 alle im deutschen Herrschaftsgebiet lebenden „Zigeuner“ in Konzentrationslager verschleppt. Nach Auschwitz wurden mehr als 20.000 „Zigeuner“ deportiert und in einem Familienlager, „Zigeunerlager“ (BIIe) genannt, untergebracht. Im August 1944, Tausende Sinti und Roma waren bereits im Lager umgekommen, löste die → SS das „Zigeunerlager“ auf. Einige tausend Sinti und Roma wurden zur Zwangsarbeit in Lagern im Innern des Deutschen Reiches verschleppt, rund 3.000 „Zigeuner“ wurden am 2. August 1944 in den Gaskammern ermordet.
(BIIe) und im Theresienstädter FamilienlagerTheresienstädter Familienlager
Aus dem Lager Theresienstadt in der Nähe von Prag – die Nationalsozialisten nannten das Lager „Altersghetto“ – wurden im September 1943 in zwei Transporten rund 5000 Juden nach Auschwitz verschleppt. Es handelte sich um Männer, Frauen und Kinder. Im Unterschied zu der ansonsten praktizierten Trennung von männlichen und weiblichen Häftlingen, wurden die Menschen aus Theresienstadt gemeinsam in einem Lagerabschnitt untergebracht. Das Lager (BIIb) wurde „Theresienstädter Familienlager“ genannt. Die → SS hatte das Lager zu Irreführung und Täuschung der Weltöffentlichkeit eingerichtet. Die Insassen des Familienlagers sollten genau sechs Monate in dem Lager verbleiben, Briefe an Angehörige senden, den Eindruck erwecken, sie seien in einem guten Arbeitslager untergebracht. Nach genau sechs Monaten wurde das Lager „liquidiert“, das heißt, die Insassen wurden in den Gaskammern ermordet.
(BIIb), in Auschwitz IAuschwitz I
Im November 1943 wurde der Lagerkomplex Auschwitz administrativ dreigeteilt: Das → Stammlager, das seit Mai 1940 existierende, erhielt die Bezeichnung Auschwitz I.
sodann als Truppenarzt tätig. Wohl im Spätsommer 1944 versetzte das WVHAWVHA
→ SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt
den SS-ArztSS-Arzt
Im → SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) in Oranienburg (nahe Berlin), das nach fünf Amtsgruppen gegliedert war, gab es in der Amtsgruppe D: Konzentrationslager das Amt D III: Sanitätswesen und Lagerhygiene. Dem von SS-Standartenführer Dr. Enno Lolling geleiteten Amt unterstanden die „medizinischen Abteilungen“ der Konzentrationslager. Die in den KZs tätigen → SS-Ärzte wurden zur Betreuung des SS-Personals (SS-Truppenärzte) und zur (vorgeblichen) Betreuung der Konzentrationslagerhäftlinge (SS-Lagerärzte) eingesetzt. Um die Gesundheitsversorgung der Häftlinge und die Hygiene in den Konzentrationslagern kümmerten sich die SS-Ärzte meist nicht. Beteiligt waren sie an der Vernichtung der Häftlinge (Selektionen) und an Menschenversuchen (Experimenten).
ins KonzentrationslagerKonzentrationslager
Die → SS richtete unmittelbar nach der sogenannten Machtergreifung (Ende Januar 1933) Konzentrationslager für Menschen ein, die das Regime als politische Gegner betrachtete und deshalb verfolgte.
Die Hauptkonzentrationslager waren: Dachau (1933–1945), Sachsenhausen (1936–1945), Buchenwald (1937–1945), Flossenbürg (1938–1945), Mauthausen (1938–1945), Neuengamme (1940–1945), Ravensbrück (1939–1945).
In den besetzten Gebieten: Stutthof (bei Danzig) (1939–1945), Auschwitz (1940–1945), Groß-Rosen (bei Breslau) (1940–1945), Natzweiler-Struthof (Elsass) (1940–1945), Plaszow (bei Krakau) (1941–1945), Majdanek (bei Lublin (1941–1944).

Mauthausen, darauf folgend waren die KonzentrationslagerKonzentrationslager
Die → SS richtete unmittelbar nach der sogenannten Machtergreifung (Ende Januar 1933) Konzentrationslager für Menschen ein, die das Regime als politische Gegner betrachtete und deshalb verfolgte.
Die Hauptkonzentrationslager waren: Dachau (1933–1945), Sachsenhausen (1936–1945), Buchenwald (1937–1945), Flossenbürg (1938–1945), Mauthausen (1938–1945), Neuengamme (1940–1945), Ravensbrück (1939–1945).
In den besetzten Gebieten: Stutthof (bei Danzig) (1939–1945), Auschwitz (1940–1945), Groß-Rosen (bei Breslau) (1940–1945), Natzweiler-Struthof (Elsass) (1940–1945), Plaszow (bei Krakau) (1941–1945), Majdanek (bei Lublin (1941–1944).

Stutthof, Ravensbrück und schließlich Sachsenhausen die weiteren Betätigungsfelder des Mediziners. Ende März 1945 setzte sich Lucas von der Truppe ab und verbarg sich in der Nähe von Berlin bei einem norwegischen Staatsbürger, der als politischer Häftling aus seiner Heimat nach Deutschland verbracht worden war und unter Auflagen sich bei Berlin zwangsaufenthalten musste. Ein Empfehlungsschreiben, das eine norwegische Ravensbrück-Häftlingsfrau dem Lagerarzt Lucas mitgegeben hatte, garantierte ihm AufnahmeAufnahme
Die gesamte Prozedur der Einweisung und Registrierung eines Häftlings in das Lager wurde „Aufnahme“ genannt. In der → Politischen Abteilung gab es ein Referat Aufnahme, in dem die Häftlingsakten geführt wurden.
und Schutz bei dem Norweger. Als die Rote Armee Berlin eroberte, floh Lucas nach Westen, gelangte nach Elmshorn und fand dort Arbeit im städtischen Krankenhaus. Als seine Tätigkeit in Auschwitz Anfang 1963 ruchbar wurde, entließ ihn sein Arbeitgeber. Der Umstand, dass gegen ihn wegen Mords bzw. Mordbeihilfe ermittelt wurde, hinderte den Beschuldigten Lucas nicht, in Elmshorn eine Privatpraxis zu eröffnen. Bis wenige Monate vor Prozessende war Lucas ein freier Mann. Im März 1965 wurde jedoch Haftbefehl gegen ihn erlassen, denn Lucas hatte vor Gericht eingestanden, auf der RampeRampe
Der Ort entlang von Bahngleisen, an dem die nach Auschwitz verschleppten Juden selektiert wurden, wird „Rampe“ genannt. In Auschwitz gab es für die Transporte des → Reichssicherheitshauptamts (RSHA) mit Juden aus ganz Europa zwei Selektionsrampen: die → „Alte Rampe“ und die → „Neue Rampe“.
selektiertselektiert
Die Auswahl oder Aussonderung von Häftlingen und von nach Auschwitz verschleppten Juden auf der → Rampe wurde „Selektion“ genannt. Selektion innerhalb des Lagers konnte für die Häftlinge zweierlei bedeuten: Verbleib im Lager bzw. Überstellung in ein anderes Lager oder Ermordung: Tod in der Gaskammer, Tötung mit Injektionen, Erschießung. Für nach Auschwitz verschleppte Juden hieß Selektion auf der Ankunftsrampe: Verbringung ins Lager zur Sklavenarbeit oder sofortige Ermordung in den Gaskammern.
zu haben. Drei Jahre verbrachte er in Untersuchungshaft, März 1968 setzte man ihn auf freien Fuß. Als der Bundesgerichthof im Februar 1969 das Urteil gegen Lucas aufhob und der vormalige SS-ArztSS-Arzt
Im → SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) in Oranienburg (nahe Berlin), das nach fünf Amtsgruppen gegliedert war, gab es in der Amtsgruppe D: Konzentrationslager das Amt D III: Sanitätswesen und Lagerhygiene. Dem von SS-Standartenführer Dr. Enno Lolling geleiteten Amt unterstanden die „medizinischen Abteilungen“ der Konzentrationslager. Die in den KZs tätigen → SS-Ärzte wurden zur Betreuung des SS-Personals (SS-Truppenärzte) und zur (vorgeblichen) Betreuung der Konzentrationslagerhäftlinge (SS-Lagerärzte) eingesetzt. Um die Gesundheitsversorgung der Häftlinge und die Hygiene in den Konzentrationslagern kümmerten sich die SS-Ärzte meist nicht. Beteiligt waren sie an der Vernichtung der Häftlinge (Selektionen) und an Menschenversuchen (Experimenten).
in der Neuverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main im Oktober 1970 freigesprochen wurde, war Lucas ein freier Mann. Für die erlittene Untersuchungshaft wurde er allerdings nicht entschädigt. Das Frankfurter Schwurgericht war der Auffassung, dass Lucas’ Verhalten in Auschwitz – bei »aller strafrechtlich schuldlosen Verstrickung« – »vom allgemeinen sittlichen Standpunkt aus doch verurteilenswert« sei und deshalb der freigesprochene Angeklagte keinen Anspruch auf Entschädigung habe.