Lajos Schlinger

Schlinger DPA 091

Lajos Schlinger, 1896 in Cluj/Rumänien geboren, wurde im Juni 1944 aus seiner Heimatstadt zusammen mit seiner Ehefrau und seiner 18-jährigen Tochter nach Auschwitz deportiert. Auf der Rampe von Birkenau sah Schlinger einen Mann wieder, den er seit 1939 von Berufs wegen kannte. Der Arzt Schlinger war in seiner Praxis von dem Pharmavertreter („Propagandisten“) der Firma Farbenfabriken Bayer AG/Leverkusen, Dr. Victor Capesius, aufgesucht worden. Auch hatte er Capesius in dessen Büro besucht und im Magazin der Bayer AG Medikamente abgeholt. Auf der Rampe von Birkenau traf Schlinger seinen früheren Geschäftspartner wieder. Capesius erteilte Befehle und schickte die Deportierten ins Gas oder ins Lager. Schlinger, über die Begegnung mit dem Apotheker erfreut und erleichtert, sprach Capesius auf der Rampe an und teilte ihm mit, seiner Frau gehe es gesundheitlich nicht gut. Capesius empfahl ihm freundlich, seine Ehefrau in die Menschenkolonne zu stellen, die ins Gas ging. Schlinger blieb eine Woche in Birkenau und wurde sodann in ein Außenlager des KZ Dachau (bei München), in das Lager Kaufering (bei Landsberg), überstellt.

Zur Zeit seiner Vernehmung im September 1964 war der Zeuge Lajos Schlinger 68 Jahre alt und arbeitete als Arzt in Cluj/Rumänien.

Hörbeispiel:

Wir sind angekommen in Nachtzeit. Die Waggone waren nicht aufgemacht, wir warteten zwei, drei Stunden lang. Männer haben geschreien, Frauen weinen, Kindern brüllen. Es war eine schreckliche Situation. Ich, nachdem wir sind heraus vom Waggon, ich habe mich herumgeschaut, ich habe mich einige Male herumgedreht: Was ist hier? Was für eine Hölle ist das? Und auf einmal, plötzlich, sehe ich an der Rampe den Doktor Capesius. Mit großer Freude hab ich zu ihm gelaufen und ich hab ihn gegrüßt, und die erste Frage war das: „Wo sind wir eigentlich?“ Er sagte mir: „In Mitte Deutschlands.“
(89. Verhandlungstag, 14.9.1964)

Erläuterung:

Innerhalb von acht Wochen, von Mitte Mai bis zum Mitte Juli 1944, kamen mit 147 Zügen circa 438.000 Juden aus dem damaligen Ungarn in Auschwitz an. Trafen die Transporte in der Nacht ein, wurden sie oftmals erst in den frühen Morgenstunden „abgefertigt“. Der Zeuge Schlinger kam mit einem Transport aus Cluj (Region Siebenbürgen). In dem Transport befanden sich auch die Insassen eines Spitals, das für Alte und Kranke in dem Ghetto, in dem sich die Juden der Stadt sammeln mussten, eingerichtet worden war. Lajos Schlinger kannte den auf der Rampe von Birkenau selektierenden SS-Hauptsturmführer Dr. Victor Capesius sehr gut. Capesius war in Siebenbürgen als Vertreter der deutschen Firma Farbenfabriken Bayer AG/Leverkusen, einer Tochter des I.G. Farben-Konzerns, tätig gewesen und hatte den Ärzten und Apothekern der Region die Produkte seines Unternehmens verkauft.

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