Sarah Nebel

Nebel GS 091

Sarah Nebel (geb. Späther), 1907 in Bistritz (Siebenbürgen/Rumänien) geboren, lebte in den 1930er Jahren in Bukarest. Ihr Hausnachbar war der als Vertreter der Farbenfabriken Bayer AG/Leverkusen tätige Apotheker Dr. Victor Capesius. Anfang Juni 1944 wurde Nebel nach Auschwitz verschleppt, auf der Birkenauer Rampe von Capesius selektiert und als „arbeitsfähig“ ins Lager eingewiesen. Capesius erkannte seine frühere Nachbarin auf der Rampe nicht, im Gegensatz zu der Zeugin, die in dem selektierenden SS-Führer ihren einstigen netten Nachbarn aus dem zweiten Stock ihres damaligen Wohnhauses erkannte. In Bukarest hatte Capesius „nicht den Eindruck eines Antisemiten“ (Nebel) auf die Zeugin gemacht. Im Sommer 1944 in Birkenau stand aber der uniformierte „Selekteur“ auf der Ankunftsplattform und schickte Tausende und Abertausende Juden mitleidslos ins Gas. So auch den Vater, zwei Brüder und eine Schwester (und deren Kinder) der Zeugin. Nebel war nur wenige Tage in Birkenau. Sie kam auf Transport und wurde in die Konzentrationslager Riga und Stutthof (bei Danzig) sowie in andere Lager verschleppt. Ende April 1945 erlebte Sarah Nebel in der Nähe von Leipzig ihre Befreiung durch die amerikanische Armee.

Zur Zeit ihrer Aussage im Oktober 1964 war die Zeugin Sarah Nebel 57 Jahre alt und lebte als Hausfrau in Jerusalem/Israel.

Hörbeispiel:

Da stand vor mir ein deutscher Soldat mit Gewehr, ich sprach ihn an: „Sagen Sie bitte, ist das nicht der Doktor Capesius?“ Der Soldat machte große Augen und sagte: „Doch, das ist der Apotheker Doktor Capesius. Aber woher kennen Sie ihn?“ Ich sagte ihm: „Ich kenne ihn noch aus Rumänien.“ Aber dann konnte ich nicht mehr zurück, denn es kamen viele Frauen. Wir wurden nach vorne geschickt in das Bad, wo wir uns auskleiden mussten. Die Haare wurden uns geschnitten. Wir bekamen dort andere Sachen. Dann führte man uns in eine Baracke, sehr viele Frauen, wo wir keinen Platz hatten, weder zum Sitzen noch zum Liegen. Da waren wir drei Tage und drei Nächte.
(96. Verhandlungstag, 2.10.1964)

Erläuterung:

Auf der sogenannten Neuen Rampe von Birkenau, einem zehn Meter breiten Bahnsteig in den Tod, kammen die Verschleppten aus Ungarn an. Sie konnten sich nach der tagelangen Zugfahrt in überfüllten Güterwaggons nicht orientieren. Die erschöpften, oftmals halberstickten und halbverdursteten Menschen begriffen nicht, was um sie herum vorging. Das Auseinanderreißen der Familien, die Aufteilung in Männer und Frauen, die Selektion von jungen, arbeitsfähigen Juden waren Vorgänge, die Angst und Schrecken, Bestürzung und Verzweiflung bei den verschleppten Menschen hervorriefen. Um so größer musste die Hoffnung bei einigen Deportierten gewesen sein, als sie in dem auf der Rampe selektierenden SS-Führer einen Bekannten aus ihrer Heimat entdecken konnten: Dr. Victor Capesius. Die Zeugin Sarah Nebel wurde zusammen mit den für das Lager ausgewählten Frauen zur „Aufnahme“ gebracht und musste die üblichen Prozeduren erleiden. Nebel, ein sogenannter Depot-Häftling, blieb unregistriert, erhielt keine Häftlingsnummer. Auschwitz war für viele „Arbeitsfähige“ bloße Durchgangsstation.

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